Festrede Hessischer Staatspreis

Dies ist der Box-Titel

Festrede zur Verleihung des Hessischen Staatspreises für das Deutsche Kunsthandwerk

07.07.2008

 

Sehr geehrte Damen und Herren.

 

Das ist ja Kunsthandwerk!

Vor diesem Urteil galt es sich zu hüten, wenn man Anfang der 80ger Jahre gnädige Aufnahme in einer Bildhauerklasse an einer Akademie wie Düsseldorf, Berlin, Hamburg oder Kassel gefunden hatte. Verpönt war das Angewandte und vor allem das Kunsthandwerkliche in der Kunst, wo es nur grob und zünftig zugehen durfte – mit Pressluft, Motorsäge oder Stech-Axt.

Alles Fein-Gemachte, alles Fleissige sowieso, die Fähigkeit, mit Sorgfalt und Finesse umzusetzen war schon verdächtig und klebte dann wie ein Stigma an solch einer Arbeit und an einem selbst – und es ging nicht mehr ab!

 

Wir machen hier kein Kunsthandwerk! Sondern Design!

An der Bauhaus-Universität Weimar, wo ich ab 1993 zehn Jahre lang Design lehrte, legte ich besonderen Wert darauf, den Vervielfältigungs-Prozess bei der Konzeption und Gestaltung von Produkten mitzuentwickeln.

Ja, ich selbst handelte so radikal, dass ich bei einem Teil meiner eigenen Arbeiten die Gestaltwerdung komplett einem möglichst eleganten Produktionsprozess übergeben habe. Dabei ging es natürlich nicht unbedingt um die Ratio, also nicht um klassisches Weg-Rationalisieren – bis nur noch ein ärmlicher Rest übrig bleibt…

Es ging mir vielmehr um findige, einfachste Konstruktionen und ihre Herstellungs-Schritte, die eine qualitätsvolle Wertschöpfung auch jenseits von Luxus-Produktion ermöglichen sollten.

 

Einfachheit sehe ich nach wie vor als höchste Kunst der Konzentration einer komplexen Herausforderung auf einem Punkt, auf eine Geste. Wie sonst fängt man 7 Fliegen auf einen Streich…

Damit komme ich auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Kunsthandwerk und Design: Das „klassische“ Design arbeitet mit den Strategien der Multiplikation, mindestens der Wiederholbarkeit. Auch das One-Off im Autoren-Design ist Prototyp und strebt nach Serie, die arbeitsteilig irgendwo produziert werden kann. Das Kunsthandwerk produziert selbst – auch oft in Kleinserien – zieht aber seinen Wert aus der persönlichen Herstellung.

 

Nicht erst auf dieser Messe sehen wir hochgradige Differenzierungen und gleichzeitig Überlagerungen der beiden Disziplinen. Vor allem vom Design aus gibt es weite Ausflüge ins kunsthandwerkliche Terrain. Dort machen die Autoren-Designer wertvollste Beute und präsentieren sie in spannenden, authentischen Inszenierungen.

 

Eine der bekanntesten ist Hella Jongerius, die ja VITRA zu einer hochinteressanten Kollektion angestiftet hat. Ihre Entwürfe beziehen ihren wesentlichen Charakter immer aus dem Experiment – gerade im Experiment schafft Jongerius es, die Grenzen zwischen den Stoffen, den Verfahren, den alten Formen, auch den Alltags-Formen zu überschreiten und gleichzeitig das ganz Selbstverständliche herauszufinden.

 

Es gibt eine ganze Generation vor allem Niederländischer Designer, die Material- und Verarbeitungs-Experimente als schier unerschöpfliche Ressource für neue Qualitäten, Formen und Wesensarten von Produkten entdeckt haben:

Bert Jan Pot, der zeitgenössische Plastikstühle nicht polstert, sondern beflockt, oder zipfelmützige Schreibtischleuchten-Schirme aus farbig beschichteten Kürbis-Früchten herstellt.

Marten Baas, der für seine SMOKE-Kollektion hölzernes Mobiliar wärmebehandelt bis zur Verkohlung, um sie dann wieder gebrauchfähig zu fixieren

Pieke Bergmans, der die Jasper-Morrison-Serie MOON für Rosenthal mit Tape überzieht, in Porzellan gießt und damit ungeahnte Oberflächen-Strukturen erzielt.

Niels van Eijk & Miriam van der Lubbe, die Kuh-Häute plastifizieren und daraus Stühle formen

 

Hier geht es nicht unbedingt um Massenfertigung. Zunächst kommen die Produkte als Kleinserien oder „Limeted Editions“ auf den Markt – setzen dort aber unübersehbare Zeichen. Das gilt natürlich auch für die Entwürfe der Brasilianischen Brüder Campana, oder für die gegossenen, geschlagenen, gedrehten oder gespritzten Stuhl-Projekte des Briten Max Lamp.

 

Es dauert immer nur wenige Saisons, dann tauchen überall die scheinbaren ME-TOOs auf: die Industrie lernt schnell und findet Verfahren, die Trends formal in ihre Produktionslinien zu übernehmen. Okay, sollen die das tun! Sollen die sich durch Design-Trends differenzieren und positionieren. Hoffentlich bleibt etwas von der ursprünglichen Qualität hängen.

 

Mir geht es aber hier um etwas anderes:

Es ist die Erfindungs- und Entwicklungs-Kultur, die die Ressourcen der Gewerke, des Handwerks, der Materialien neu kombiniert und aus dem CrossOver die ungeahnten Potenziale und Synergien schöpft.

 

Und da stellt sich die Frage, wie gerade auch in Deutschland, wo die Disziplinen, Branchen, ja Zünfte noch viel zu wenig miteinander kooperieren, wie also auch hier die für die Zukunft entscheidende Vitalisierung dieser Szenen in Gang kommt.

 

Aus meiner Sicht kann das Design als „nomadische“ Interdisziplin die Rolle des Initiators wundervoll spielen. Nämlich mit den „Sesshaften“, die ihre Kompetenzen in den Tiefenbohrungen, also in den Finessen der Machbarkeit und Produktion entwickelt haben, experimentell kooperieren, aber eben auch in der Entwicklung und nicht nur im klassischen Verhältnis Entwerfer/Produzent.

 

Gerade bei den Kunsthandwerkern werden sie auf Menschen treffen, die weitgefächert und tiefgreifend ihre handwerklichen, technischen und experimentellen Kompetenzen kultiviert haben. Bei Ihnen wird die Werkstatt ja sowieso immer wieder zum Labor – was man vom klassischen Handwerksbetrieb leider meist nicht behaupten kann.

 

Denn was öffnet sich an fantastischen Möglichkeiten, diese Labore durch Projekte miteinander in Verbindung zu bringen: edel mit profan, schnell mit langsam, Feuer mit Wasser, senkrecht mit waagerecht und schräg dazu…

 

Zum Abschluss gebe ich Ihnen einen kurzen Einblick in die eigene Praxis-Forschung:

als Prof. an der UdK Berlin initiierte ich im letzten Jahr ein weit angelegtes Kooperations-Experiment. Mit 52 klein- und mittelständischen Betrieben jeglicher Couleur und 80 Studierenden aus kreativen UdK-Disziplinen versuchten wir, durch experimentelles Verknüpfen der Gewerke neue Produkt-Ideen zu entwickeln und auf den Weg zu bringen. Es gab kein Briefing, es gab keine Einschränkungen, alle durften miteinander agieren und von einander klauen.

 

Von den über 50 Prototypen – eine Auswahl aus vielen hundert Ideen und in Interaktion mit den Betrieben entstanden – wurden 6 zum Patent angemeldet und 8 sind auf ihrem Weg in den Markt. Wir gaben diesem Projekt das Label „Design Reaktor Berlin“ und nahmen von Beginn an Experten aus Markt und Vertrieb mit ins Boot – für die „multi-perspektivische“ Entwicklung und Verwertung. Da kann es durchaus passieren, dass keine Produktion, dass keine Stückzahlen für die beteiligten KMUs abfallen:

Der Teebeutel „temae“, der mit einem Papierstreifen anzeigt, wie lange der Tee schon zieht, ist etwas für die weltweiten Teehäuser.

Der „Music Drop“, ein winziger MP3-Player in Tropfenform für nur einen Song, für nur ein Gedicht oder einen Liebesgruß wird wohl Made in China.

Die Strick-Kollektion „Trikoton“, die Stimm-Muster in Strick-Muster überträgt, wird wohl in Appolda auf High-Tech-Maschinen just-in-time und customized gestrickt. Die beiden Studentinnen, die eine aus der Mode, die andere aus dem Produkt-Design, entwickeln gerade ihre interaktive Web-Plattform und damit ihr Start-Up. Die Kunsthandwerkerin, die in Berlin ein exklusives Strick-Atelier betreibt und an der Entwicklung beteiligt war, wird, wenn es dann läuft, über Lizenzen am Erfolg beteiligt.

 

Das erfordert einen Perspektiv-Wechsel für alle Beteiligten: von den „Rauchenden Schloten“ zu den „Rauchenden Köpfen“. In unserer post-industriellen Situation müssen wir wieder Entwicklungsland werden!

Das geht nur, wenn wir die kreativen Strategien mit den technologischen, wissenschaftlichen und ökonomischen zusammen verknüpfen.

Und das geht besonders gut, wenn wir die vielbesungenen

„open-innovation“-Prozesse „hands-on“ und „bottom-up“,

grenzüberschreitend aber kooperativ betreiben.

 

Lasst uns also zusammen arbeiten: kompetent und qualitätsvoll,

neugierig, riskant und voller Verantwortung.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.